Hanne K., 48 Jahre

Hanne K. kam 1992 im Alter von 36 Jahren in die Beratung der Mitternachtsmission. Seit 15 Jahren arbeitete sie in den unterschiedlichen Bereichen der Prostitution, zuletzt in einem Club.
Ihr Einstieg in die Prostitution erfolgte auf Drängen ihres damaligen Ehemannes, der nach einer Haftstrafe keine Arbeit fand (oder finden wollte). Er war wegen Betruges und Unterschlagung in seiner Firma verurteilt worden. Ein Mithäftling, dessen Lebensgefährtin als Prostituierte arbeitete, hatte ihm die Arbeitsmöglichkeiten und besonders die Verdienstmöglichkeiten im Bordell sehr vorteilhaft geschildert.
Hannes Mann Kurt versprach, das Baby und den Haushalt zu versorgen und übte massiven Druck auf Hanne aus. Das geschah nicht mit körperlicher Gewalt sondern mit emotionaler Erpressung. Er suggerierte Hanne, dass nur sie „den Karren aus dem Dreck ziehen könne“ damit „die Familie wieder auf die Füße käme“. Er sagte, dass er früher die Familie gut versorgt habe (von seinen Betrügereien) und nun Hanne „dran“ sei.
Es war nicht leicht für Hanne, denn so hatte sie sich ihr Familienleben nicht vorgestellt. Sie versuchte, ihren Mann umzustimmen, damit sie wieder in ihrem Lehrberuf als Verkäuferin arbeiten könne,- aber er wies sie verächtlich zurück mit dem Argument, „von dem Hungerlohn könne er nicht leben“.
Die erste Zeit als Prostituierte war sehr schwer für Hanne. Sie erzählte mir, dass sie oft vor Erschöpfung und Erniedrigung geweint habe, wenn Kunden sie schlecht behandelt haben oder wenn Kurt das von ihr verdiente Geld am Ende des Tages nicht ausreichend fand. Ihre Kolleginnen trösteten sie und versuchten, ihr zu helfen, damit sie „alles nicht so schwer nahm“.
Nachdem Hanne zunächst dachte, sie lebe in einem einzigen Albtraum und oft den Gedanken sich umzubringen, als tröstlich empfand, schreckte sie doch davor zurück, weil sie das Kind nicht zurück lassen wollte. Nach der Arbeit im Bordell hatte sie noch umfangreiche Hausarbeiten zu erledigen, denn Kurt hielt sein Versprechen nicht. Er brachte während Hanne arbeitete das Baby häufig zu seiner Großtante und erzählte dieser (wie Hanne später erfuhr), dass Hanne sich „oft rumtreibe“ und er Zeit brauche, um sich nach einer Arbeit umzusehen.
Schnell brach Hannes Kontakt zu alten Bekannten ab und Kurt tat alles, um sie von ihrer Familie zu isolieren. Ihnen hatte sie erzählt, dass sie als Kosmetikvertreterin arbeite und unregelmäßig Außendienst hätte. Die Familie war misstrauisch, denn sie hatten nie ein gutes Verhältnis zu Kurt und waren der Ansicht, dass „der Mann die Familie ernähren solle“.
Kurt vertiefte seine Kontakte zum Milieu, die er durch seine Haftzeit hatte, und war schnell in einer Clique von Zuhältern mit denen er trank, Karten spielte und kleinere Delikte plante und ausübte. Zu dem Zeitpunkt begann er Hanne zu schlagen, wenn der Verdienst nicht seinen Erwartungen entsprach oder wenn sie mal einen Tag nicht arbeiten wollte. Seine materiellen Ansprüche wurden immer größer und er verlangte 500 DM „Klimpergeld“ am Tag, die Anschaffung eines Porsches, einer Nobeluhr und Mitgliedschaften im Sportstudio etc..
Hannes erster Versuch aus ihrer bedrückenden Lage auszubrechen und mit ihrem Kind zu ihren Eltern zu ziehen, wurde von Kurt vereitelt, der damit drohte, ihren Eltern zu erzählen, dass „ihre Tochter eine Nutte sei“.
Hanne flüchtete schließlich mit der kleinen Tochter zu einer Freundin nach Frankfurt, wo Kurt sie aber nach drei Wochen aufspürte und sie so verprügelte, dass sie in stationäre Behandlung musste. Danach versteckte er die kleine Tochter bei einem Freund in einer ländlichen Gegend und drohte Hanne, sie würde das Kind nicht wiedersehen, wenn sie nicht „ordentlich ackere“ und Geld beschaffe.
Hannes Widerstand war zunächst gebrochen und sie fügte sich weil sie keinen Ausweg sah. Ihren Eltern wollte sie sich aus Scham nicht anvertrauen und Kurt hatte sie davon überzeugt, dass das Jugendamt einer Nutte, das Kind sowieso wegnehmen und die Polizei sich nicht in „Ehestreitigkeiten“ einmischen würde. Hanne nahm Antidepressiva und trank zuviel Alkohol um ihre Situation aushalten zu können.
Kurts Entwicklung zum Zuhälter hatte in den kommenden Jahren große Fortschritte gemacht und er „kassierte“ inzwischen fünf weitere Frauen ab.

Hanne schöpfte neue Hoffnung, dass er sie nun gehen lassen würde, aber er ließ sich nicht darauf ein. Zwar beschimpfte er Hanne regelmäßig als „altes abgewracktes Teil“, wollte aber nicht auf ihr Geld verzichten.
Hanne versuchte schließlich sich auf ihrem Bett im Bordell die Pulsadern aufzuschneiden. Kurt hatte ihr verboten, an der Geburtstagsfeier der fünfzehnjährigen Tochter teilzunehmen. Er hatte damit begonnen, die Tochter mit in Bars und Clubs zu nehmen und damit zu prahlen, wie gut sie aussähe und was sie im Milieu verdienen könne. Hanne gegenüber machte er Andeutungen, dass er das Mädchen bald „einführen wolle“. Hanne konnte den Gedanken daran nicht ertragen und wollte nicht mehr leben. Die Hauswirtschafterin in dem Bordell benachrichtigte die Mitternachtsmission, die die Betreuung von Hanne übernahm.

Es war Hannes Wunsch nie mehr in der Prostitution zu arbeiten und mit ihrer Tochter in eine andere Stadt zu ziehen. Wir brachten Hanne zunächst in einer süddeutschen Stadt unter und konnten durch Gespräche mit dem Jugendamt erreichen, dass die Tochter zu ihrer Mutter ziehen konnte. Die Tochter war sehr geschockt, dass ihre Mutter als Prostituierte gearbeitet hatte. Nach und nach kamen Mutter und Tochter sich wieder näher und konnten über die Geschehnisse reden.
Kurt suchte nach seiner Frau und seiner Tochter und erfuhr, dass die Mitternachtsmission ihr geholfen hatte. Nach einigen Versuchen uns einzuschüchtern und den Aufenthaltsort zu erfahren, wurde er sehr unangenehm und drohte uns offen. Wir berieten das Problem mit Beamten der zuständigen Fachabteilung der Polizei, die ein Gespräch mit Kurt führten. Daraufhin wurden wir nicht mehr bedroht, aber Kurt suchte weiterhin nach Hanne.
Nach einem Jahr kehrten Hanne und ihre Tochter zurück nach Dortmund, weil ihre Mutter lebensbedrohlich erkrankt war und ihre Hilfe benötigte. Die Mitternachtsmission half ihr eine kleine Wohnung zu finden und vorübergehend Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialamt zu erhalten. Nach kurzer Zeit konnte sie durch das Arbeitsamt eine Arbeitsstelle im Lager einer Elektrofabrik bekommen. Die Tochter besuchte die Realschule.

Zum ersten Mal ging es Hanne wieder gut und sie konnte den Kontakt zu den Eltern festigen und auch von ihrem bisherigen Leben erzählen. Kurt erfuhr, dass Hanne wieder in der Stadt war und die alte Wut, von ihr „gelinkt worden zu sein“, kam wieder hoch. Er suchte Hannes Eltern auf und redete sehr schlecht über Hanne. Als der Vater ihm das Haus verbot, wurde Kurt sofort ausfallend, bedrohte die Eltern und schlug die Scheibe des Wohnzimmerschrankes ein. Zum Vater sagte er „das war der Schrank, das nächste Mal ist es deine Fresse“. Zu Kurts Erstaunen ließ der Vater, ein ehemaliger Eisenbieger, sich nicht einschüchtern und rief die Polizei, die Kurt mitnahm. Dabei stellte sich heraus, dass Kurt wegen einer anderen Sache gesucht wurde und er kam in Haft. Großes Aufatmen bei Hanne und ihrer Familie.
Kurz darauf verlor Hanne ihre Arbeitsstelle, weil die Firma sich verkleinern musste. Wieder begannen schwere Zeiten für Hanne und sie wurde sehr depressiv. Durch Freunde der Mitternachtsmission konnten wir Hanne eine Teilzeitstelle in einer Wäscherei vermitteln. Sie stieg schon nach zwei Jahren zur Filialleiterin auf und ist nun eine selbstbewusste und fröhliche Frau, die den Erfordernissen ihres Berufes voll nachkommt. Sie hat eine zweijährige Therapie hinter sich, in der sie mit einer einfühlsamen Therapeutin die Erlebnisse und Schrecken ihres vorherigen Lebens aufarbeiten konnte.
Ihre Tochter beendet bald ihre Lehre zur Industriekauffrau und wird vom Lehrbetrieb übernommen werden.
Von Kurt, der noch im Gefängnis sitzt, ist Hanne inzwischen geschieden. Hin und wieder schreibt er Briefe, abwechselnd mit wüsten Drohungen und rührseligem „Lass-uns-noch-einmal-von-vorn-anfangen“-Gerede. Seine Entlassung steht in diesem Jahr bevor und wir sind dabei, eine Auflage zu erwirken, dass er sich ihr nicht nähern darf. Wir hatten intensive Gespräche mit seinem Anwalt und Hanne hat dort unmissverständlich klar gemacht, dass sie sofort rechtliche Schritte einleiten wird, wenn er sich bei ihr blicken lässt.
Es ist ihr unbehaglich an ihn zu denken und es macht ihr etwas Angst, dass er ihre neue Zukunft bedrohen könne, z.B. ihrem Arbeitgeber von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Deshalb haben wir nächste Woche gemeinsam ein Gespräch mit ihrem Chef und werden ihn vorbereiten. Die Mitternachtsmission ist zuversichtlich, dass er eine so gute und freundliche Kraft nicht verlieren möchte.

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