Cornelia, 31 Jahre alt, 1 Sohn (14 Jahre)

Cornelia, ein schönes blondes Mädchen, verliebte sich mit sechzehn Jahren in den Binnenschiffer Martin. Er war schon zweiundzwanzig Jahre alt und ihre große Liebe. Sie träumte davon, mit ihm auf einem eigenen Schiff die Kanäle entlang zu fahren und selbständig zu sein.

Martin war zunächst geschmeichelt, dass sie sich für ihn interessierte und überredete sie, mit ihm auf Fahrt zu gehen. Cornelia verließ ihr Elternhaus, in dem sie sich nicht mehr wohlgefühlte seitdem ihre Mutter zum zweiten Mal geheiratet hatte. Ihr Stiefvater war Lehrer und sehr streng.
Sie fuhr sechs Monate mit Martin auf den Kanälen und der Schiffseigner, der glaubte, sie sei neunzehn Jahre alt, hatte nichts dagegen. Cornelia kochte für die beiden Männer und war immer mit ihnen zusammen. Beide waren nett zu ihr und es war eine schöne Zeit.
Martin behandelte sie gut und als sie schwanger wurde sprach er von Heirat und richtete eine Kinderkoje ein. Cornelia bat ihre Eltern um Zustimmung zur Heirat und drei Monate bevor der kleine Kai geboren wurde konnte sie Martin heiraten. Sie fühlte sich glücklich auf dem Schiff und mit Martin.

Kurz nach der Geburt hatte der Schiffseigner einen Unfall und musste für längere Zeit ins Krankenhaus. Martin und Cornelia versuchten, den Frachtbetrieb weiterzuführen, aber die Aufträge blieben aus, zum Teil weil Martin nicht besonders diplomatisch war. Martin begann zu trinken und war zunehmend handlungsunfähig und hielt weder Termine ein, noch zahlte er Rechnungen. Als er eines Tages ein anderes Schiff rammte und keine Möglichkeit sah, die Reparatur zu zahlen (mit der Versicherung war er schon lange Zeit in Rückstand) verhandelte er mit dem Geschädigten dahingehend, dass Cornelia eine Nacht mit ihm verbringen musste.
Für Cornelia war es die schlimmste Nacht in ihrem Leben, die sie nie vergessen konnte. Das lag nicht daran, dass der andere Schiffer grob zu ihr war sondern es war die Demütigung, die sie nicht verwinden konnte. Ihr geliebter Martin hatte sie schnöde verkauft, um den Schaden, den er betrunken angerichtet hatte zu bereinigen und es schien ihm völlig egal zu sein, wie sie sich fühlte. Am Morgen danach nahm sie Kai, der nun ein Jahr alt war und verließ Martin.

Zunächst zog Cornelia zu ihren Eltern, denen sie nicht sagte, warum sie Martin verlassen hatte. Sie schämte sich zu sehr. Die Eltern schalten sie wankelmütig und machten Druck, dass sie sich eine Arbeit suchte. Da sie die Schule abgebrochen hatte als sie zu Martin zog, konnte sie zunächst nur einen Job in einer Kneipe am Hafen bekommen. Dort traf sie viele von den Binnenschiffern wieder, die sie in ihrer Zeit mit Martin kennen gelernt hatte.
Mit einigen schlief sie zunächst aus einer Laune heraus und weil ihr viele Komplimente gemacht wurden, später für Geld und zunehmend wahllos.
Nach zwei Jahren ließ sie Kai bei ihren Eltern, die ihn aufzogen, und zog in eine andere Stadt und ging dort ganz der Prostitution nach.

Sie wechselte in Abständen in andere Städte, verliebte sich in Rolf, einen Taxifahrer, der überwiegend von ihrem Geld lebte und anfing Kokain zu nehmen. Ihren Sohn durfte sie nicht mehr sehen seitdem die Eltern durch Rolf (als er betrunken war) erfahren hatten, dass sie mit Prostitution ihr Geld verdiente. Sie verließ Rolf darauf hin.

Wir lernten Cornelia Anfang 2007 kennen als sie mit gebrochenen Rippen und Armen im Krankenhaus lag und der Sozialdienst uns um Unterstützung bat. Ein Kunde hatte sie aus einem Hotelzimmerfenster geworfen weil sie eine Praktik, vor der sie sich ekelte, nicht ausführen wollte.
Cornelia sah viel älter aus als einunddreißig Jahre, litt an Bulimie und Depressionen und hatte ihre Körperpflege eingestellt.

Cornelia nahm die Hilfeangebote der Mitternachtsmission an und wirkte mit, so gut sie es konnte. Wir halfen ihr bei der Beantragung von ALG II und fanden eine kleine Wohnung für sie, in die sie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus einziehen konnte. Mit gespendeten Möbeln konnten wir bei der Einrichtung helfen.
Cornelia fühlte sich zunächst sehr schlecht und ging kaum vor die Tür. Wir führten lange Gespräche mit ihr und konnten sie ermutigen eine Therapeutin aufzusuchen, mit der sie sich gut versteht. Auch konnte der Kontakt zu ihren Eltern wieder hergestellt werden. Das war Cornelia besonders wichtig, weil Kai dort noch wohnte. Dazu waren auch eine Anzahl von Einzelgesprächen mit ihrer Mutter nötig, die sehr ambivalente Gefühle gegenüber Cornelia hatte und sich erst langsam von eigenen Schuldgefühlen und der Verachtung gegenüber Cornelia lösen konnte.

Cornelia baut nun eine vorsichtige Beziehung zu ihrem Sohn auf, der in der Pubertät ist und große Schwierigkeiten mit der vorherigen Prostitutionstätigkeit seiner Mutter hat. Seit einigen Jahren hat er auch wieder Kontakt zum Vater, der wohl alle Schuld am Scheitern der Ehe (die auf dem Papier noch besteht) auf Cornelia geschoben hat und sie so darstellt, als hätte sie die Familie verlassen, um „herumzuhuren“. Es wird noch dauern, ehe Kai sich ihr wieder zuwendet.

Cornelia lebt sehr zurückgezogen und beschäftigt sich meistens damit, ihre kleine Wohnung zu putzen. Sie schläft häufig tagsüber weil sie nachts keine Ruhe hat.
Seit einem Monat arbeitet sie nachts ergänzend zu ALG II in einem kleinen Hotel an der Rezeption und es gefällt ihr gut. Die Gäste sind meistens Handelsvertreter oder Montagearbeiter und freundlich. Sie hat aber jeden Abend wenn sie zur Arbeit geht Angst, dass einer der Männer sie erkennt und rumerzählt, was sie früher gemacht hat. Bisher ging alles gut und wir arbeiten im Rollenspiel mit Cornelia daran, dass sie lernt, mit solchen Situationen umzugehen. Sie wird immer mutiger und wir hoffen, dass die gefürchtete Situation nie kommt, oder dass sie sich souverän darin behaupten wird.

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